Preisgestaltung bei grossflächigen Wärme-Ausbauprojekten

Preisgestaltung bei grossflächigen Wärme-Ausbauprojekten

Die Wärme hat unter den leitungsgebundenen Energieträgern eine Sonderstellung. Als einzige wird sie typischerweise als Inselnetz betrieben. Aufgrund dieser Inseleigenschaft hatte in der Vergangenheit jeder Wärmeverbund einen eigenen Preis, welcher vertraglich mit den Kunden vereinbart wurde. Nun wird die Wärme in vielen Städten deutlich ausgebaut, die Inseln grenzen aneinander und wachsen zusammen. Das Versorgungsgebiet wird ähnlich grossflächig wie dasjenige von Gas. Ist in so einer Situation ein individuelles Pricing je Verbund noch angemessen? Und lassen sich Wärmepreise noch an Indizes binden, wenn die Bauzeit der Wärmeversorgung 10 Jahre bis 20 Jahre beträgt und sie mehrere Verbünde umfasst? Vorliegend zeigen wir die Möglichkeiten für die Preisgestaltung bei Wärme-Ausbauprojekten auf. 

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1. Problemstellung 

Früher gab es wenige grossflächige Wärmenetze in den grösseren Städten, mit welchen die Abwärme der Kehrichtverbrennung als Gebäudewärme oder in Form von Dampf für Spitäler und Industrie genutzt wurde. Daneben existierten kleinere Wärmeverbünde mit anderer Energiequelle – z.B. einem BHKW oder einer Schnitzelheizung – welche einzelne Gebäude oder Strassenzüge mit Wärme versorgten. Mit den Kunden wurden Wärmelieferpreise vereinbart, welche sich an den Kosten des Netzbaus und den Produktionskosten des Verbunds orientierten.  

Inzwischen bauen zahlreiche Städte die Wärmeversorgung grossflächig aus oder sie planen dies, um die Gasversorgung mit einer CO2-ärmeren Alternative abzulösen und eine hohe Winterbelastung des Stromnetzes zu vermeiden. 

Wenn die Wärmeverbünde nun einen grossen Teil des Stadtgebiets erschliessen und teilweise aneinander angrenzen, stellt sich die Frage, ob die Wärmeversorgung nicht einen einheitlichen Preis haben müsste, so wie Strom und Gas auch. Wird dies bejaht, stellt sich die Folgefrage, ob die Preisentwicklung bei einem Einheitspreis noch wie bisher üblich an Indizes gebunden werden kann.  

2. Ein Blick nach Zürich und Basel

In der Stadt Zürich wurde der Stadtrat (Exekutive) vom Gemeinderat (Legislative) aufgefordert, in der ganzen Stadt Zürich einen Einheitstarif für Anschluss und Bezug von Fernwärme einzuführen. Hauptargumente für den Einheitstarif waren, dass ein Einheitstarif für Immobilienunternehmen mit Liegenschaften in verschiedenen Gebieten einfacher sei, dass für alle Hausbesitzer die gleichen Anschlusskostenbeiträge gelten sollen und dass Wärme einen Service Public darstelle und der Tarif solidarisch und einheitlich sein solle.(1) Der Stadtrat hatte mehr Bedenken: er argumentierte, dass es bei der Umstellung vom individuellen Preis je Verbund auf den Einheitspreis zu starken Verwerfungen kommen könnte, dass bestehende Energielieferverträge zur berücksichtigen seien und dass mit einem Einheitstarif teurere Verbünde durch günstigere querfinanziert würden, so dass nicht sichergestellt sei, dass nur noch effiziente und rentierende Verbünde gebaut würden.(2) Der Stadtrat muss nun bis Oktober 2025 die Grundlagen schaffen, um den Einheitstarif umzusetzen.(3)

In Basel existiert bereits seit Jahren ein einheitlicher Fernwärmetarif im Stadtgebiet, trotz mehrerer Energiezentralen, welche unterschiedliche Energiequellen nutzen (Abwärme KVA, Holz, Gas). Eine Ausnahme stellen Verbünde im Contracting dar, wo es noch verbundsindividuelle Preise gibt.

3. Wann eignen sich verbundsübergreifende, einheitliche Wärmepreise?

Wie das Beispiel in Zürich zeigt, ist ein Einheitspreis über mehrere Wärmeverbünde nicht unumstritten. Die Diskussion entsteht letztlich auch, weil im Wärmegeschäft Wettbewerb herrscht und verschiedene Anbieter auch unterschiedliche Wärmelösungen anbieten und realisieren können.(4) Entsprechend gibt es auch kein nationales «Wärmeversorgungsgesetz» gibt, welches rechtliche Monopole schafft und Vorgaben zur Preisgestaltung macht. Relevant sind die meistens offenen gehaltenen Vorgaben der kantonalen Energie- und Raumplanungsgesetze. Die Versorger und ihre Eigentümer haben daher grossen Gestaltungsfreiraum.

Aus unserer Sicht bietet sich ein verbundsübergreifender, einheitlicher Grund- und Arbeitspreis sowie Netzanschlussbeitrag unter folgenden Bedingungen an:

  • Es wird ein grosses Gebiet mit Wärme erschlossen, in dem einzelne Wärmenetze in absehbarer Zeit aneinandergrenzen oder physisch verbunden und gemeinsam betrieben werden;
  • Es gibt wenige bestehende Verbünde mit Energielieferverträgen oder diese Verträge laufen in den nächsten Jahren aus und die Kunden können in das neue Preissystem überführt werden;
  • Die Preisdifferenzen zwischen bestehenden und neuen Verbünden sind gering, dadurch gibt es nur geringe Preissteigerungen für die Bestandskunden und wenig Kundenverluste;
  • Sofern auch bei den Anschlusskostenbeiträgen eine Pauschale je Kunde angestrebt wird, muss klar abgegrenzt sein, in welchen Gebieten oder bis zu welcher maximalen Distanz zur Wärmeleitung Hausanschlüsse realisiert werden, um hohe Anschlusskosten zu vermeiden;
  • Die Stadt beauftragt ihren Energieversorger mit dem Ausbau der Wärmeversorgung und leistet einen substanziellen Beitrag an deren Finanzierung; dies gibt der Wärmeversorgung den Charakter eines «Service Public», im Unterschied zum rein gewerblichen Geschäft im Contracting bzw. in direkter Konkurrenz zu Drittanbietern;
  • Es wird sichergestellt, dass die Wärmeverbünde unter Berücksichtigung allfälliger städtischer Subventionen wirtschaftlich sind; die Kundenpreise müssen dabei im Vergleich zu Wärmepumpen oder Heizungen mit erneuerbarem Gas attraktiv bleiben;
  • Die Wärmeverbünde gehören einem einzigen Eigentümer; wenn jeder Verbund einen anderen Eigentümer hat oder sogar mehrere Eigentümer an einem einzigen Verbund beteiligt sind, dürfte ein Einheitspreis nur unter langwierigen Verhandlungen umzusetzen sein.

Sind diese Bedingungen mehrheitlich erfüllt, ist ein Einheitspreis sinnvoll. Er hat den zusätzlichen Vorteil, dass im Verrechnungssystem weniger Preise zu pflegen sind und dass die Preise insbesondere für Kunden mit mehreren Liegenschaften in der Stadt einfacher verständlich und nachvollziehbar sind.

4. Preisanpassungsregeln beim Einheitspreis

Wenn sich ein Energieversorger für einen Einheitspreis entscheidet, stellt sich auch die Frage danach, wann und wie dieser der Kostenentwicklung anzupassen ist.

Bisher wurde der vertragliche Wärmepreis festgelegt, wenn grössere Kunden Absichtserklärungen unterzeichnet haben und erste Bauofferten vorlagen. Nach Vertragsunterzeichnung der Schlüsselkunden starteten der Bau und die Akquise weiterer Kunden entlang der geplanten Leitungen. Die Vertragspreise wurden an Indizes gebunden, um Steigerungen und Senkungen der Bau- und Energiekosten an die Kunden weiterzugeben. Typische Indizes sind der Landesindex der Konsumentenpreis (LIK) für den Grundpreis und Teilindizes aus dem LIK für die Energiepreise. Abbildung 1 zeigt ein einfaches Schema des Ablaufs.

Abbildung 1

Abbildung 1: Preisfestlegung, Bauphase und Preisanpassungen im Einzelverbund

Die Preisindexierung bietet den Vorteil, dass für die Kunden von Beginn weg transparent ist, unter welchen Bedingungen der Preis steigt oder sinkt. Die Kunden haben Zugriff auf eine Indexquelle, welche vertrauenswürdig und vom Energieversorger unabhängig ist. Der Energieversorger trägt das Risiko, dass der Index die Entwicklung der tatsächlichen Kosten nicht genau trifft. Er kalkuliert dafür einen Zuschlag ein, welcher im schlechten Fall Mehrkosten abdeckt und besseren Fall zum Gewinn wird.

Soll nun ein ganzes Stadtgebiet mit Wärme erschlossen werden, steigt das finanzielle Risiko für den Energieversorger, wenn er den Vertragspreis im Voraus festlegt und sich für Preisanpassungen auf Indizes stützt. Dies aus folgenden Gründen:

  • Die Bauzeit erstreckt sich nicht über eines oder wenige Jahre, sondern über 10 Jahre und mehr. Über einen so langen Zeitraum können Baukosten nicht mit Offerten abgefragt werden; zudem gibt es mehr Unvorhergesehenes, welches die Kosten in die Höhe treiben kann. Die Leitungsführung läuft zudem möglicherweise anders als geplant. Einen Grundpreis festzulegen, welcher die Kapital- und Unterhaltskosten von Netz und Energiezentralen korrekt abbildet, ist über einen so langen Zeithorizont kaum möglich. Kommt dazu, dass die verfügbaren Indizes selten genau den eigenen Baukosten entsprechen.
  • Bei mehreren Energiezentralen mit unterschiedlichen Wärmequellen ist es schwierig, einen passenden Index für die Anpassung des Arbeitspreises zu finden. Wegen des langen Zeitraums bis zum Endausbau bestehen Unsicherheiten im Einsatz der Energieträger – künftig wird erneuerbare Energie für die Spitzenabdeckung benötigt oder ein Gebiet wird entgegen der Planung von einer Holzzentrale anstatt von einer Grundwasserzentrale aus erschlossen. Zudem kann sich der Anteil der verschiedenen Energieträger am Produktionsmix während der Bauzeit verschieben, mit wesentlichen Kostenverschiebungen. Dieses Problem könnte man lösen, indem man die Gewichtung der Energieträger von Jahr zu Jahr anpasst, aber dann verliert der Index an Transparenz.
  • Führen die obengenannten Entwicklungen dazu, dass der Vertragspreis in einer neuen Vertragsversion angepasst werden muss, kommt es zu einer Ungleichbehandlung von Kunden, welche nur dem Anschlusszeitpunkt geschuldet ist: Kunde X hat im Jahr 2020 an ein Wärmenetz angeschlossen und einen um 20% günstigeren Wärmepreis als sein Nachbar Y, welcher im Jahr 2024 anschliesst. Dies widerspricht der Idee eines Einheitspreises. Zudem erhöhen verschiedene Vertragsversionen die Komplexität in der Verrechnung und bei Auswertungen.

Soll ein grossflächiger Wärmeausbau mit einem über alle Verbünde einheitlichen Grund- und Arbeitspreis sowie Netzanschlussbeitrag realisiert werden, ist eine Umsetzung mit einem vertraglich festgelegten, indexierten Preis nicht zu empfehlen. Ein Index, welcher alle Baukosten und Energiepreisentwicklungen korrekt abbildet, ist bei einer langen Bauzeit und verschiedenen Energiequellen kaum möglich.

Als Alternative bietet sich ein «cost+»-Tarifmodell analog Gas oder Strom an. In diesem werden die Kosten jährlich vorkalkuliert und die Kundenpreise wenn nötig angepasst. Mit der Nachkalkulation wird überprüft, ob die Preise kostendeckend waren. Damit können die aktuellen Kostenentwicklungen berücksichtigt werden, das Risiko für den Energieversorger sinkt, der Risikozuschlag auf den Gestehungskosten kann gering gehalten werden.

Mit dem Tarifmodell verzichtet der Energieversorger auf einen langjährigen Wärmeliefervertrag; damit hat der Kunde die Freiheit, jederzeit den Energieträger zu wechseln. Nun ist die Wechselbereitschaft der Kunden bei der Wärmeversorgung gering, so dass dieses Risiko in Kauf genommen werden kann. Die Kundenzufriedenheit ist aber im Auge zu behalten.  

Aus Kundensicht ist dieses Preisanpassungsmodell indes weniger attraktiv, weil nicht im Voraus klar ist, nach welchen Kriterien Preise ändern. Gerade LIK-indexierte Wärmelieferungsverträge haben hier aus Kundensicht klare Vorteile, da die Preisentwicklung sehr stabil und absehbar ist. Der Energieversorger steht bei «cost+-Tarifen» sofort im Verdacht, auch Ineffizienzen weiter zu verrechnen oder den Gewinn zu maximieren. Hier ist die Preisüberwachung als Kontrollinstanz anzuführen, welche bei Verdacht auf Missbrauch der Marktmacht, welche ein städtischer Wärmeversorger hat, einschreiten kann.(5) Werden die Tarife durch die Exekutive der Stadt verabschiedet, nimmt diese ebenfalls eine Kontrollfunktion wahr. Schliesslich hat der Energieversorger einen eigenen Anreiz, die Kosten nicht in die Höhe zu treiben, weil die Wärmeversorgung in Konkurrenz zu anderen, individuellen Lösungen wie der Wärmepumpe steht. Schliesslich schafft der Energieversorger Vertrauen, indem er in der Kommunikation von Tarifanpassungen transparent aufzeigt, weshalb die Tarife steigen, und indem er auch Kostensenkungen konsequent an die Kunden weitergibt. Hier können die Indizes wieder eine Rolle spielen: in der Begründung von Mehr- und Minderkosten.

Fazit: «Weiter wie bisher» ist in der Wärmepreisgestaltung nicht zu empfehlen

Bei einer grossflächigen Wärmeversorgung lohnt es sich, die bisherigen Preismodelle von Wärmeverbünden zu hinterfragen und einen einheitlichen Grund-, Arbeits- und Netzanschlusspreis über das gesamte versorgte Gebiet zu prüfen. Ein solcher ist für die Kunden verständlicher und in der Abrechnung für den Energieversorger einfacher.

Ein einheitlicher Preis sollte nicht über langjährige Wärmelieferverträge, in denen sich der Wärmepreis an Indizes anpasst, umgesetzt werden. Ein «cost+»-Tarifmodell wie bei Gas oder Strom, bei welchem die Tarife auf der Basis von vorkalkulierten Kosten festgelegt werden, reduziert die Risiken für den Energieversorger, bedingt aber eine Vertrauensbeziehung der Kunden, eine hohe Kostendisziplin und eine transparente Kommunikation.


 

Verweise

  1. Gemeinderat Stadt Zürich, Auszug aus dem substanziellen Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 4.10.2023.
  2. Stadtrat Zürich, Beschluss 630/2023.
  3. Gemeinderat Stadt Zürich, Motion 2022/441.
  4. Vorbehalten bleiben exklusive Sondernutzungskonzessionen mit entsprechenden Anschlusspflichten. Die Nutzung des öffentlichen Grundes für die Verlegung von Leitungen von Wärmeverbunden bedingt die Einräumung der entsprechenden Durchleitungsrechte in Form einer Sondernutzungskonzession oder mittels Bewilligung des gesteigerten Gemeingebrauchs. Ob die Inanspruchnahme des öffentlichen Grundes für die Verlegung der Leitungen eine Sondernutzung oder gesteigerten Gemeingebrauch darstellt, hängt vom kantonalen Recht ab (vgl. PLANAR et. al., Rechte und Pflichten bei der Wärmeversorgung im Verbund, Modul B).
  5. Es gilt nicht nur, aber insbesondere auch bei exklusiven Gebietszuteilungen mit Anschlusspflichten.