Ist Wasserstoff der Schlüssel zur Energiesicherheit und Dekarbonisierung in der Schweiz?

Ist Wasserstoff der Schlüssel zur Energiesicherheit und Dekarbonisierung in der Schweiz?

Der «Champagner der Energieträger» – in den Diskussionen rund um die zukünftige Bedeutung von Wasserstoff wird dieser in verschiedenen Metaphern beschrieben. Im Folgenden erfahren Sie, warum der Vergleich mit Champagner die Schwächen einer florierenden Wasserstoffwirtschaft veranschaulicht und was die momentanen Herausforderungen einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft in der Schweiz sind. 

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Die Schweiz steht vor grossen Herausforderungen, wenn sie ihre ehrgeizigen Klimaziele erreichen und gleichzeitig eine sichere Energieversorgung gewährleisten will. Die Energiestrategie 2050 (1) der Schweiz zielt darauf ab, die Treibhausgasemissionen erheblich zu reduzieren und den Anteil der erneuerbaren Energien signifikant zu erhöhen. Wasserstoff kann hierbei mehrere Funktionen erfüllen: Erstens als Speicher für überschüssigen erneuerbaren Strom und zweitens als emissionsfreier Brennstoff für Industrie und Mobilität​. Ebenso kann er als vielseitig einsetzbarer Energieträger eine wichtige Funktion in der Sektorkopplung übernehmen. Der Übergang zu erneuerbaren Energien ist bereits in vollem Gange, doch die Integration und Speicherung dieser fluktuierenden Energiequelle bleibt eine zentrale Aufgabe. Wasserstoff rückt vermehrt als potenzieller Schlüssel zur Lösung vieler Fragen der zukünftigen Energieversorgung in der Schweiz in den Fokus. Doch warum wird Wasserstoff oft als «Champagner der Energieträger» bezeichnet?

Bei erneuerbarem Wasserstoff handelt es sich aufgrund der Umwandlungsverluste um einen vergleichsweisen teuren Energieträger. In den meisten Fällen gibt es zudem direkt elektrische Alternativen, die viel effizienter sind. (2) Das führt zu Kostenvorteilen. Genau wie Champagner gilt Wasserstoff momentan noch als exklusiv und wertvoll, was auf seine vielseitigen Einsatzmöglichkeiten und seine bedeutende Rolle in einer nachhaltigen Energiezukunft hinweist. Allerdings macht es auch deutlich, dass Wasserstoff derzeit noch ein teures Gut ist, das erst durch technologische Fortschritte und Skaleneffekte für den Massenmarkt erschwinglicher werden muss​.

Genau in diesem Skaleneffekt liegt die grosse Herausforderung bei der Etablierung eines florierenden Wasserstoffmarktes in der Schweiz (und auch international). Für die positive Wirkung des Skaleneffekts bedarf es eines anfänglichen Impulses. Es muss genügend Wasserstoff produziert werden, um ihn für Verbraucher attraktiv zu machen, während gleichzeitig ausreichend Bedarf vorhanden sein muss, damit sich die Produktion lohnt. Ein «Huhn-Ei Dilemma». Für die Entwicklung eines tragfähigen Marktes ist eine initiale Nachfrage nach Wasserstoff entscheidend. Pilotprojekte und staatliche Förderprogramme können hier wichtige Impulse geben. Ein Beispiel für eine privatwirtschaftliche Initiative in der Schweiz ist der Förderverein H2 Mobilität.(3) Zu den Vereinsmitgliedern gehören grosse Partner wie Coop, Migros, fenaco und zahlreiche Transportunternehmen. Gemeinsam arbeiten sie daran, wichtige Infrastrukturen wie ein flächendeckendes Tankstellennetz für Wasserstoff zu etablieren. Diese Massnahmen zielen darauf ab, die Nutzung von Wasserstoff zu fördern und so einen stabilen Markt zu schaffen, der die Grundlage für eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft bildet. Trotzdem bleibt die Schweiz auch von den Aktivitäten der Nachbarländer abhängig, vor allem im Hinblick auf den Import von Wasserstoff via Pipelines sowie hinsichtlich des Anschlusses der Schweiz an ein europäisches Wasserstoffnetz (H2 Backbone).

Deutschland möchte in der Wasserstoffwirtschaft eine Vorreiterrolle übernehmen. Dazu hat die Regierung im Mai 2023 das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz verabschiedet. Dieses Gesetz soll den rechtlichen Rahmen für den schnellen Auf- und Ausbau der Produktions- und Versorgungsinfrastruktur/-kapazitäten schaffen und gleichzeitig die Genehmigungsverfahren vereinfachen.

Eine grosse Herausforderung bei der Etablierung eines florierenden Wasserstoffmarktes ist folglich die Thematik rund um Beschaffung, Transport und Infrastruktur, die eng miteinander verknüpft sind. Es gibt derzeit mehrere mögliche Szenarien, wie wirtschaftlich bezahlbarer Wasserstoff in der Schweiz für einen Markthochlauf verfügbar werden und so das «Huhn-Ei  Dilemma» durchbrechen könnte, von denen hier drei plausible Lösungen mit Herausforderungen aufgezeigt werden:

1. Produktion von Wasserstoff in der Schweiz mit Umrüstung unseres Verteilnetzes oder Verteilung mit Lastwagen: Die Herstellung von Wasserstoff in der Schweiz könnte durch wirtschaftlich günstige Strompreise und/oder neue sowie weiterentwickelte, verbesserte Herstellungstechnologien optimiert werden. Es gibt weiterhin erhebliches Verbesserungspotenzial in den Produktionstechnologien. Ein Indiz dafür: Es wurden im Jahr 2021 weltweit 93 Patentanmeldungen für PEM (Protonenaustausch-Membran-Elektrolyse) verzeichnet, gefolgt von 68 für AEL (Alkalische Elektrolyse) und 37 für HT (Hochtemperatur-Elektrolyse).(4) Für den Transport von Wasserstoff mit Lastwagen fallen vergleichsweise hohe Kosten für jede Fahrt an. Er kann dabei komprimiert oder in flüssiger Form transportiert werden, was sich gemäss Studien(5) für längere Strecken als kostengünstiger erweist. Ein entscheidender Vorteil ist hier die vom Ausland unabhängige Versorgung mit einem Energieträger, der auch inländisch hergestellt werden kann. Die momentane Herausforderung besteht noch in der Beschaffung der kostengünstigen Strommengen zur Elektrolyse, da ein Elektrolyseur je nach Modell eine gewisse Anzahl Stunden laufen muss, um effizient zu produzieren. Ebenfalls gab es beim Bewilligungsverfahren für diverse Elektrolyseure bereits Einsprachen von Anwohnern aufgrund Lärmemissionen, sodass diese nicht gebaut oder erst mit Verzögerung gebaut werden konnten.(6)

2. Import von Wasserstoff in die Schweiz aus arabischen oder süd- oder nordamerikanischen Ländern mit Tankschiffen: Wasserstoff könnte aus arabischen Ländern wie Oman oder den Emiraten sowie nord- und südamerikanischen Ländern wie Chile, Kanada oder den USA importiert werden.(7) Einige europäische Länder haben bereits strategische Partnerschaften und Wasserstoffallianzen gebildet, um sich zukünftige Wasserstoffimporte zu sichern. Oman hat angekündigt, der weltweit führende Wasserstoffproduzent werden zu wollen und hat bereits Vereinbarungen über sechs Projekte abgeschlossen sowie weitere Projekte ausgeschrieben.(8) Es bestehen aber noch offene Fragen darüber, in welcher Form Wasserstoff importiert werden kann und soll, vor allem hinsichtlich wirtschaftlicher und sicherheitstechnischer Aspekte. So wären Wasserstoff-Derivate wie Ammoniak, Methanol oder synthetisches Methan mögliche Trägerstoffe, um Wasserstoff via Tankschiffe zu transportieren. Das BFE hat hierzu eine Studie in Auftrag gegeben, welche in Abhängigkeit von sozialen sowie ökologischen Faktoren und geopolitischen Risiken analysieren soll, was die besten Importoptionen für die Schweiz sind.(9)

3. Import von Wasserstoff über Pipelines: Eine weitere Möglichkeit ist der Import von Wasserstoff über Pipelines aus europäischen oder nicht-europäischen Ländern. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie im Energy Report6 rücken Länder wie Irland, Norwegen, Niederlande und Großbritannien aufgrund ihres Potenzials zur Wasserstoffproduktion durch Windenergie in den Fokus. Auch sonnenreiche Länder mit hohem Potenzial für Photovoltaik, wie Marokko in Nordafrika, könnten zu zukünftigen Wasserstoffexporteuren werden. Pipelines sind eine effiziente Lösung für den Transport großer Mengen Gas mit geringen Energieverlusten. Der Bau oder die Umstellung der heutigen Pipelineinfrastruktur auf Wasserstoff stellt die Energiebranche jedoch vor Herausforderungen. Die Anpassung der bestehenden Pipelines für den Wasserstofftransport ist mit hohen Investitionskosten und technischen Unsicherheiten verbunden. Studien zeigen, dass zwar theoretisch eine Umrüstung möglich ist, jedoch erhebliche Investitionen notwendig sind, um die Leitungen sicher und effizient für den Wasserstofftransport nutzen zu können. Der heutige Stand der Technik erlaubt eine Beimischung von Wasserstoff zu 20%, höhere Beimischungsquoten bis zu 30% werden momentan in Teilen Deutschland erprobt.(10) Hohe Investitionen in langlebige Pipelines führen zu dem bereits erörterten Problem: Es besteht Unsicherheit darüber, ob tatsächlich eine ausreichende Nachfrage nach Wasserstoff bestehen wird, was in diesem Fall eine besondere Herausforderung darstellt. Pilotprojekte in anderen Ländern, wie beispielsweise in Deutschland, könnten als Vorbild dienen und wichtige Erkenntnisse liefern. Für eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft ist ausserdem die Anbindung an ein internationales Wasserstoffnetzwerk essenziell. Die Schweiz muss sicherstellen, dass sie Teil dieses Wasserstoff-Backbones wird, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und von internationalen Entwicklungen zu profitieren.

Das Aufzeigen dieser drei möglichen Entwicklungen der Wasserstoffwirtschaft in der Schweiz stellt keine abschliessende Liste dar, sondern sollen plausible Varianten aufzeigen. Eine Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit einer der gezeigten Varianten (oder einer anderen) ist selbst für Branchenexperten schwierig vorauszusehen und von vielen externen, dynamischen, (welt-)politischen, ökonomischen und technischen Faktoren abhängig.

Akteure der deutschen Wasserstoffwirtschaft sind von einem anderen Ausweg aus dem «Huhn-Ei Dilemma» überzeugt:(11) Zuerst müssen Wasserstoff-Tankstellen gebaut werden. Mit einer zuverlässigen Wasserstoffversorgung entstehe Planungssicherheit, was wiederum Investoren dazu ermutigt auf Wasserstoff zu setzen und ihren fossilen Energieträger mit Wasserstoff auszutauschen. Dabei ist die Tankstelle nicht nur Ort des Vertriebs: Im Beispiel einer Tankstelle im Landkreis Giessen wird vor Ort mittels eines Elektrolyseurs grüner Wasserstoff mit Strom aus eigenen, regionalen Windkraft- und Solaranlagen produziert. Die Tankstelle verfügt über einen grossen H2 Speicher, welcher bis zu 2 Tonnen H2 speichern kann.

Fazit

Wasserstoff hat das Potenzial, eine wesentliche Rolle in der Energiesicherheit und Dekarbonisierung der Schweiz zu spielen. Seine vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten und seine Fähigkeit, erneuerbare Energien effizient zu speichern und zu nutzen, machen ihn zu einem möglichen Bestandteil einer nachhaltigen Energiezukunft. Die Herausforderungen, die seiner breiten Anwendung noch im Weg stehen, könnten durch einen staatlichen Förderrahmen und unterstützende politische Rahmenbedingungen überwunden werden. Staatliche Förderprogramme können helfen, die Anfangskosten zu senken und Investitionen attraktiver zu machen. Diese Programme sollten sowohl die Produktion als auch den Einsatz von Wasserstoff in verschiedenen Sektoren unterstützen. Klare gesetzliche Regelungen und Standards für Produktion, Transport und Nutzung von Wasserstoff sind dabei unerlässlich. Die Schweiz benötigt eine langfristige politische Strategie, die Investitionssicherheit schafft und die Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft fördert.

Eine nationale Wasserstoffstrategie funktioniert für die Schweiz jedoch nur mit internationalen Kooperationen. Hier wäre ein Rahmenabkommen mit der EU als Grundlage zur Verhandlung eines Wasserstoffabkommens sehr wünschenswert. Denn die Zeit drängt. Es gibt momentan mehrere verschiedene, plausible Szenarien, wie in der Schweiz grüner, bezahlbarer Wasserstoff verfügbar werden könnte. Sei dies durch Import aus nahen oder fernen Ländern via Pipelines und Schiffen oder durch die Produktion vor Ort in der Schweiz. Jedoch sind alle dieser Szenarien mit verschiedenen Unsicherheiten verbunden. Je länger jedoch Unsicherheit über Lösungswege und Einsatz bestehen, desto mehr werden über Alternativen Fakten geschaffen. Es gilt daher, für eine Wasserstoffwirtschaft in der Schweiz schnell klare Rahmenbedingungen zu schaffen und vor allem private Initiativen zu fördern. Dies ist entscheidend für einen funktionierenden Markthochlauf sowie die technologischen Innovationen, um die Effizienz der Wasserstoffproduktion und -nutzung weiter zu verbessern. Dies erfordert technologische Innovationen und kontinuierliche Verbesserungen der Elektrolyseverfahren, um die Kosten zu senken und die Wirtschaftlichkeit zu steigern. Schweizer Energieversorger haben eine besondere Verantwortung und zugleich auch die Chance, sich hier als Realisierer der Energiewende zu positionieren.


 

Verweise

Bildnachweis: Adobe Firefly Image 3 ("Text to Picture" KI-Bildgenerator)

  1. Energieperspektiven 2050+ Technischer Bericht.
  2. Prognos, TEP, INFRAS, 2021b. Wasserstoff. Hintergrund zum Einsatz von Wasserstoff in den Szenarien der Energieperspektiven 2050+. Bundesamt für Energie.
  3. https://h2mobilitaet.ch/de/.
  4. https://www.isi.fraunhofer.de/de/presse/2024/presseinfo-16-wasserstoff-elektrolyse-potenziale.html.
  5. C. Yang und J. Ogden, „Determining the lowest-cost hydrogen delivery mode,“ International Journal of Hydrogen Energy, Bd. 32, Nr. 2, pp. 268–286, 2007.
  6. Beispiel Axpo : https://www.energate-messenger.ch/news/227203/axpo-muss-wasserstoffprojekt-wegen-einsprachen-stoppen.
  7. Hjeij, Dawood, et al. "Hydrogen export competitiveness index for a sustainable hydrogen economy." Energy Reports 9 (2023): 5843-5856.
  8. Ministry of Energy and Minerals of Oman: https://mem.gov.om/en-us/.
  9. Bericht in Erfüllung des Postulats 20.4709 «Wasserstoff. Auslegeordnung und Handlungsoptionen für die Schweiz».
  10. https://www.energie.de/ew/news-detailansicht/nsctrl/detail/News/erstmals-20-prozent-wasserstoff-im-deutschen-gasnetz.
  11. Emcel GmbH, Marcel Corneille: Am Anfang war die Tankstelle; Fachjournal Hzwei; Ausgabe 02; April 2024.