Braucht es ein neues Modell für Rückspeisevergütungen?

Braucht es ein neues Modell für Rückspeisevergütungen?

Die aktuell hohen Marktpreise erhöhen den Druck auf die bisherige Vergütungspraxis vieler Netzbetreiber

Die Energiepreise in der Schweiz sind seit Ende 2021 regelrecht explodiert. Zuerst infolge von Post-Corona-Effekten in Kombination mit Kraftwerksausfällen, jetzt infolge des tragischen Kriegs in der Ukraine. Mit aktuellen Spotpreisen von regelmässig über 30 Rp./kWh stellt sich für viele dezentrale Stromproduzenten die Frage, wann und wie weit sie eigentlich von diesen hohen Preisen profitieren. Gleichzeitig müssen sich die für die Abnahme und Vergütung zuständigen Verteilnetzbetreiber zunehmend erklären, weil ihre Vergütungspraxis zu tief erscheint. Was ist geschehen? Was ist geplant? Eine kurze Einordnung.


 

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Wie ist die heutige Praxis von Rückspeisevergütungen bei PV-Anlagen in der Schweiz?

Die heutige Vergütungspraxis von Verteilnetzbetreibern in der Schweiz für den von ihnen abgenommenen, dezentral produzierten Solarstrom ist äusserst heterogen. Gemäss dem Verband unabhängiger Energieerzeuger (VESE) liegen die Vergütungen für 2022 zwischen nicht einmal 4 Rp./kWh und vergleichsweise attraktiven 20 Rp./kWh.1 Vergleicht man die grössten 30 Netzbetreiber, so sieht das Bild etwas homogener aus. Die Vergütungen liegen dann zwischen rund 8 und 13.5 Rp./kWh. Darin enthalten sind überwiegend auch Entschädigungen für die Abnahme der Herkunftsnachweise, für welche zwischen 1 und 5.5 Rp./kWh bezahlt wird. Einige Netzbetreiber nehmen die Herkunftsnachweise nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen ab.

Nur wenige Versorger geben aktuell die hohen Marktpreise auch an Solarstromproduzenten weiter. Zu ihnen gehört mit der BKW aber auch die grösste Verteilnetzbetreiberin der Schweiz. Sie wirbt in Zeiten hoher Preise mit ihrem «marktorientierten» Vergütungssystem 2, nach dem Sie in den vielen Jahren zuvor stets für ihre vergleichsweise tiefen Vergütungen in der Kritik stand.3 Mit 22.86 Rp./kWh zuzüglich 1 Rp./kWh für die Herkunftsnachweise war die Vergütung im letzten Quartal 2021 für alle Produzenten attraktiv. Die Vergütungen für das erste Quartal 2022 dürften aufgrund der aktuellen Marktpreise noch höher ausfallen.

Was sind die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen?

Art. 15 Abs. 1 Energiegesetz (EnG) gibt vor, dass VNB verpflichtet sind, in ihrem Netzgebiet die ihnen angebotene Elektrizität aus erneuerbaren Energien, aus fossil und teilweise fossil befeuerten Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK) sowie das ihnen angebotene Biogas abzunehmen und zu vergüten. Diese Vorgabe gilt für Anlagen ab 3 MW Leistung bzw. 5’000 MWh Netto-Jahresproduktion.

Netzbetreiber und Drittproduzenten einigen sich im Grundsatz vertraglich über die angemessene Vergütung. Sofern sich Netzbetreiber und Produzenten nicht einigen können, gelten die Bestimmungen zur Mindestvergütung von Art. 15 Abs. 3 EnG. Höhere Vergütungen, beispielsweise zu den aktuell hohen Marktpreisen, sind somit möglich. Art. 15 Abs. 3 EnG besagt, dass im Fall von Elektrizität aus erneuerbaren Energien sich die Vergütung an den vermiedenen Kosten des Netzbetreibers für die Beschaffung gleichwertiger Energie zu orientieren hat. Art. 12 Abs. 1 EnV präzisiert und erweitert diese Gesetzesbestimmung seit dem 1. Januar 2018 dahingehend, dass sich die Vergütung nach den Kosten des Netzbetreibers für den Bezug gleichwertiger Elektrizität bei Dritten («Beschaffung») sowie auch nach den Gestehungskosten der eigenen Produktionsanlagen zu bemessen hat. Die Kosten für Herkunftsnachweise (HKN) werden dabei explizit nicht berücksichtigt, da deren Abnahme grundsätzlich freiwillig und zu Marktpreisen erfolgt. Die Gesetzmässigkeit der Erweiterung der Verordnungsbestimmung auf die Eigenproduktion von Netzbetreibern ist nach wie vor umstritten. Die ElCom hat mit ihrer Verfügung vom 5. Mai 2021 die Gesetzeskonformität von Art. 12 EnV explizit bestätigt. Die Verfügung ist jedoch noch nicht rechtkräftig.

Im Falle von fossilen Erzeugern gilt die Preisformel gemäss Art. 12 Abs. 2 EnV: «Bei der Vergütung für Elektrizität aus fossil und teilweise fossil befeuerten Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen ergibt sich der Marktpreis aus den Stundenpreisen am Spotmarkt im Day-ahead-Handel für das Marktgebiet Schweiz.»

Wie wirken sich die Marktpreise auf die Vergütungen aus?

Diese Vorgaben führen in Zeiten stark steigender Marktpreise nun kurzfristig dazu, dass die Vergütungen für nicht erneuerbare Energien über denjenigen der erneuerbaren Energien liegen. Bei den Vergütungen für erneuerbare Energie hängt die Entwicklung an der Kostenentwicklung der Beschaffung bei den Netzbetreibern ab. Da diese ihre Beschaffung in der Regel mehrere Jahre im Voraus absichern, wirken sich die aktuell hohen Preise erst in den kommenden Jahren auf die Beschaffungskosten (und damit auch auf die Tarife für die Endkunden) aus. Damit wird auch die Rückliefervergütung nur schrittweise ansteigen, da sie sich aufgrund der rechtlichen Vorgaben bei den meisten Netzbetreibern an den effektiven Kosten orientiert. Letztlich ist somit die Beschaffungsstrategie des Netzbetreibers für die Entwicklung der Rückliefervergütung massgebend. Der Einbezug der Gestehungskosten der Eigenproduktion wirkt dabei aktuell zusätzlich preisdämpfend.

Anders formuliert: die Entwicklung der Rückliefervergütungen und die Entwicklung der Energietarife für die Grundversorgung sind in diesem Modell eng aneinandergekoppelt. Je langsamer sich die steigenden Marktpreise auf die Tarife eines Netzbetreibers auswirken, desto langsamer steigen auch die Rückliefervergütungen. Umgekehrt sollen – und vor diesem Hintergrund wurden diese Regelungen geschaffen – bei sinkenden Marktpreisen die Rückliefervergütungen vor starken Absenkungen geschützt sein. Das Modell ist somit nicht kurzfristig und marktpreisbasiert ausgelegt, sondern längerfristig und kostenbasiert. Dies soll insbesondere bei Prosumern zu einem angemessenen Ergebnis führen, da für sie letztlich nicht nur die Höhe der Rückliefervergütung, sondern auch die Höhe der Bezugstarife massgeblich sind.

Abb_1_Aktuelle_MarktpreisentwicklungAbb. 1: Aktuelle Marktpreisentwicklung; Quelle: Referenz-Sportmarktquartalspreise für PV-Einspeisungen (BFE, 2021)

Wieso entschädigen nicht alle Netzbetreiber zu aktuellen Marktpreisen?

Wie festgehalten, gibt Art. 15 Abs. 3 EnG nur die Mindestvergütung vor. Es wäre Netzbetreibern also unbenommen, ähnlich wie die BKW zu aktuell deutlich höheren Marktpreisen zu vergüten. Wieso erfolgt dies nicht? Dafür gibt es primär zwei Gründe:

  1. Erstens ist die bisherige Praxis des Netzbetreibers von Relevanz. Diejenige Netzbetreiber die in Zeiten tiefer Marktpreise vergleichsweise hohe, kostenbasierte Rückliefervergütungen ausbezahlt haben, werden nun in Zeiten hoher Marktpreise nicht kurzfristig ihr Modell ändern. Ähnlich wie bei fixen vs. variablen Hypotheken hat der Vorteil der Absicherung bei sinkenden Preisen ihren Nachteil bei steigenden Preisen.
  2. Der zweite Grund dürfte bei der Begrenzung der Anrechenbarkeit in den Grundversorgungstarifen der Netzbetreiber liegen. Art. 4 Abs. 3 StromVV begrenzt die Anrechnung von Beschaffungskosten bei erneuerbaren Energien, dazu gehören insbesondere auch die Rücklieferungen, auf die bisher für die KEV massgeblichen Vergütungssätze abzüglich pauschal 20% (Art. 4a StromVV). Dies führt dazu, dass aktuell die Anrechenbarkeit bspw. bei neuen grossen PV-Anlagen mit mehr als 100 kWp auf 7.2 Rp./kWh, bei kleineren PV-Anlagen mit weniger als 100kWp auf 10.96 Rp./kWh begrenzt ist. In dieser Begrenzung sind auch die Herkunftsnachweise enthalten, so dass bereits heute viele Netzbetreiber ihre Rückliefervergütungen streng nach Verordnung nicht mehr vollständig als Beschaffungskosten für die Grundversorgung geltend machen können.

Mit der Begrenzung der Anrechenbarkeit der Beschaffungskosten für erneuerbare Energien hatte der Gesetzgeber den Schutz der grundversorgten Kunden im Blick. Die aktuelle Preisentwicklung sowie der generelle Trend, dass erneuerbare Energien günstiger als nicht erneuerbare Energien werden, führt nun aber zu einer Blockierung angemessener Rückliefervergütungen. Hier ist der Bundesrat gefordert, diese Verordnungsbestimmungen zeitnah zu überprüfen und die Anrechenbarkeit der gemäss Art. 15 Abs. 3 EnG vorgegebenen Mindestvergütungen sicherzustellen. Alles andere wäre für die betroffenen Netzbetreiber stossend. Den Netzbetreibern ist trotz der Problematik der Anrechenbarkeit zu empfehlen, die Mindestbestimmung gemäss Art. 15 Abs. 3 EnG vollständig einzuhalten und die Herkunftsnachweise bei Abnahme zu marktüblichen Bedingungen zu vergüten.

Was plant der Bund im Rahmen der Revision des Energiegesetzes?

Im Rahmen der Revision des Energiegesetzes ist bisher vom Bundesrat keine grundsätzliche Modelländerung geplant. So sollen die Netzbetreiber gemäss Art. 15 EnG weiterhin für die Abnahme der dezentral erzeugten Energie verpflichtet sein. Einzige Änderung ist die Regelung der Mindestvergütungshöhe: gemäss Entwurf von Art. 15 Abs. 3 lit. a EnG soll die Vergütung für Elektrizität aus erneuerbaren Energien sich neu mindestens nach dem Marktpreis im Zeitpunkt der Einspeisung orientieren. Wie bei Elektrizität aus den erfassten Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen, sollen auch bei Elektrizität aus erneuerbaren Energien die Stundenpreise an der Strombörse für den Folgetag im Marktgebiet Schweiz massgebend sein.4 Der Bundesrat begründet diese Anpassung mit der Marktöffnung und dem Wegfall von kostenbasierten Grundversorgungstarifen. Auch diese sollen neu im Vergleich zu Marktpreisen angemessen sein. Eine strikte Anbindung an den effektiven Beschaffungs- und Produktionskosten soll damit entfallen.

Diese Regelung ist alles andere als unumstritten. Erstens ist eine politische Mehrheit für die aus Branchensicht längst fällige Marktöffnung fraglich. Zweitens wird die aktive Energieabnahme-Pflicht der Verteilnetzbetreiber vor dem Hintergrund des Unbundling und der Marktöffnung mit abnehmenden Grundversorgungsmengen von der Branche kritisiert. Drittens wurde bisher die direkte Abstützung der Vergütungen für erneuerbare Energien auf Sportmarktpreise als nicht tragbar bzw. investitionshemmend eingestuft. Dies hat der Bundesrat (im Kontext tiefer Marktpreise) insofern aufgenommen, als dass er mit Art. 75b EnG eine 10-jährige Übergangsbestimmung vorschlägt. So sollen Betreiber von bestehenden PV-Anlagen Vergütungen in der Höhe der durchschnittlichen Gesamtvergütung erhalten, welche die Schweizer Verteilnetzbetreiber im Rahmen der Abnahme- und Vergütungspflicht in den fünf Jahren vor Inkrafttreten der Änderung für die Elektrizität und die Herkunftsnachweise bezahlt haben.5 Ob diese Bestimmung im Kontext der aktuellen Preisentwicklung bestehen bleibt, ist alles andere als klar.

Was wären alternative Modelle?

Die Meinungen über das richtige Modell gehen weit auseinander. Der Kanton Waadt fordert bspw. mittels seiner Standesinitative 22.302, dass die Stromversorger weiterhin zu verpflichten sind, den von ihrer Kundschaft ins Netz eingespeisten Strom abzunehmen. Der Abnahmetarif soll sich dabei auf mindestens 85 Prozent des Verkaufspreises für den Strom, der an die betreffende Kundschaft geliefert wird, belaufen. Dieser Tarif soll den Herkunftsnachweis für den produzierten Strom einschliessen.

Ganz anderer Meinung ist der VSE als Branchenverband. Er forderte im Rahmen der Vernehmlassung die Abnahme- und Vergütungspflicht im Rahmen der vollständigen Marktöffnung ganz aufzuheben.6 Sofern weiterhin eine Abnahme- und Vergütungspflicht für Elektrizität bestehen soll, ist diese durch eine unabhängige zentrale Stelle übernommen werden. Der Ansatz mit einer zentralen Abnahmestelle scheint im Vergleich zu einer Aufhebung der Abnahme- und Vergütungspflicht eher mehrheitsfähig zu sein. Vorteilhaft an diesem Ansatz wäre die schweizweit einheitliche Behandlung aller dezentralen Produzenten und eine saubere Entflechtung von den Netzbetreibern. Denkbar wären dabei Vergütungsansätze, welche sich an den Marktpreisen orientieren, wobei die Produzenten zwischen einem mehrjährig fixen (abgesicherten) und einem kurzfristigen (variablen) Vergütungsmodell auswählen könnten. Dies wäre vergleichbar mit dem Hypothekarmarkt. Während die variable Vergütung gerade im aktuellen Kontext attraktiv erscheint, muss der Produzent die damit verbundene Volatilität der Strommarktpreie «aushalten». Das mehrjährig abgesicherte Modell bietet Stabilität. Als zentrale Abnahmestelle könnte dabei Pronovo agieren, welche auch sämtliche Einmalvergütungen, KEV- und MKF-Anlagen abwickelt und die übernommene Energie entsprechend vermarktet.

Besteht dabei der politische Wille, die Vergütungen für erneuerbaren Strom finanziell zusätzlich zu fördern (was aus unserer Sicht aufgrund der tiefen Gestehungskosten nicht notwendig ist), wäre auch dies einfacher und vor allem einheitlich umsetzbar. Insbesondere würden Förderung und Grundversorgungstarife sauber voneinander getrennt.

Verweise

Bildnachweis: Foto von Anna Nekrashevich von Pexels

  1. Vgl. VESE (2022) pv.tarif.ch.
  2. Vgl. BKW (2021) Medienmitteilung vom 19. November 2021, www.bkw.ch.
  3. Vgl. etwa SRF (2018) www.srf.ch/news/wirtschaft/verguetung-fuer-solarstrom-bkw-bezahlt-mehr-aber-laengst-nicht-so-viel-wie-andere.
  4. Vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, S. 60.
  5. Vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, S. 74.
  6. Vgl. VSE (2019) Stellungnahme zur Revision des Stromversorgungsgesetzes, A.

 

Markus Flatt

Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Regulierungsmanagement, Transaktionsbegleitung, betrieblichem Rechnungswesen und Rechtsformänderungen. Als Experte und Gutachter bin ich für Energieversorger einerseits sowie für Verbände und Behörden andererseits tätig.