Strategische Handlungsoptionen für Eigentümer von Verteilnetzen
Eigentümer von Verteilnetzen stellen sich vermehrt Fragen zum geeigneten Modell für den Betrieb des Netzes. Neben dem Eigenbetrieb oder einem möglichen Verkauf stehen insbesondere die beiden Modelle der Betriebsführung und Verpachtung im Fokus. Beide Modelle zeichnen sich durch spezifische Vor- und Nacheile aus. Vor der Entscheidung zur Wahl des geeigneten Modells sind auch operative Herausforderungen in der Umsetzung zu antizipieren, welche vor allem bei einem Wechsel des bestehenden Betriebsmodells im Detail berücksichtigt werden müssen. Mittels einer systematischen Standortbestimmung können Eigentümer Transparenz über die Ausgangslage sowie über die verschiedenen Handlungsoptionen erlangen. Vorliegender Artikel beschreibt wesentliche Vor- und Nachteile der beiden Optionen und bietet eine Hilfestellung für die zukünftige unternehmerische Ausrichtung.
1. Einführung
Die Herausforderungen für Eigentümer von Verteilnetzen sind bereits heute vielfältig und steigen kontinuierlich. Umwelt- und Marktentwicklungen, insbesondere auch aufgrund der zunehmenden Regulierungsanforderungen, der gesellschaftlichen Entwicklung zu effizienter Energienutzung und zu erneuerbaren Energien (Energiewende) sowie der technologischen Entwicklungen mit einer stärkeren Digitalisierung, führen vermehrt zu strukturellen Veränderungen. Die Eigentümer von Verteilnetzen stehen vor grundsätzlichen strategischen Fragestellungen. Sie müssen sich aktiv mit der Zukunft auseinandersetzen und Voraussetzungen für die langfristige Weiterentwicklung oder zumindest für den Werterhalt ihrer Netze schaffen. Je nach strategischer Ausrichtung der Eigentümer in Bezug auf ihre eigene Leistungstiefe ist der Umgang mit den Netzen unterschiedlich. Auch Netzverkäufe (1) sind in jüngerer Vergangenheit vermehrt als Option diskutiert und teilweise auch umgesetzt worden.(2)
Der vorliegende Artikel fokussiert auf Verteilnetze der Netzebene 7, beispielhaft im Eigentum einer Gemeinde. Erläutert werden die aus Sicht der Gemeinde relevanten Herausforderungen beim Abschluss eines Betriebsführungs- oder eines Pachtvertrags.
2. Strategische Betrachtung der Leistungstiefe
Bei der Betrachtung der Leistungstiefe stellt sich erst einmal die Frage, wie hoch der Anteil an Eigen- und Fremdleistung beim Betrieb und Unterhalt des Netzes sein soll. Es stehen vier grundsätzliche Optionen zur Auswahl, wobei sich der Anteil der Fremdleistung je nach Option deutlich unterscheidet.
Abbildung 1: Übersicht zu möglichen Handlungsoptionen
Nachfolgend werden die Modelle der Betriebsführung sowie der Verpachtung am Beispiel eines gemeindeeigenen Verteilnetzes beschrieben. Ein wesentlicher Unterschied der beiden Modelle liegt im Status des Netzbetreibers,(3) welcher im Modell der Verpachtung von der Gemeinde auf den Pächter übergeht. Der Pächter erlangt somit Tarifhoheit und legt die Tarife im entsprechenden Pachtgebiet analog seines übrigen Versorgungsgebietes selbständig fest.(4) Ein weiterer bedeutender Unterschied sind die Wertflüsse. Während im Modell der Betriebsführung der Auftraggeber bzw. die Gemeinde den Betriebsführer als Dienstleister für seine Aufwände hinsichtlich Personal und Material entschädigt, vergütet im Modell der Verpachtung der Pächter den Verpächter bzw. die Gemeinde mit einem Pachtzins. Nachfolgend werden die jeweiligen Aspekte der beiden Modelle vertieft erläutert.
2.1 Betriebsführung
Nachfolgende Abbildung zeigt die wesentlichen Elemente im Modell der Betriebsführung.
Abbildung 2: Illustrative Darstellung von Leistungen pro Partei im Betriebsführungsmodell
Die Gemeinde verbleibt Netzeigentümerin und veröffentlicht als Netzbetreiberin eigene Tarife für die Energie- und Netznutzung der grundversorgten Endkunden.(5) Sie beauftragt einen Betriebsführer (im Sinne eines Dienstleisters) mit Aufgaben wie Beschaffung und Verkauf von Energie, Netzbetrieb sowie Rechnungstellung und Inkasso. Im Betriebsführungsvertrag,(6) welcher in der Regel mittelfristig für 3–5 Jahre abgeschlossen wird, werden die gegenseitigen Leistungen detailliert beschrieben und die jeweiligen Spezifika des Eigentümers berücksichtigt. Entscheide bezüglich Ausbau und Erneuerung des Verteilnetzes liegen grundsätzlich bei der Gemeinde, können aber auch an den Betriebsführer delegiert werden.
Endverbraucher vergüten dem Betriebsführer die Tarifkomponenten Energie, Netznutzung und Abgaben, welche ggf. auch für die Sondernutzung des öffentlichen Grund und Bodens eine Konzessionsabgabe beinhalten, welche von der Gemeinde festgelegt wird. Der Betriebsführer leitet die Einnahmen an die Gemeinde weiter und kümmert sich um die Verrechnung weiterer Abgaben an Dritte (wie z.B. SDL-Abgaben an Swissgrid).
Die Verantwortung für den Netzbetrieb und die Versorgung liegt grundsätzlich bei der Gemeinde, welche auch die wesentlichen strategischen, betrieblichen, rechtlichen und finanziellen Risiken trägt.
2.2 Verpachtung
Nachfolgende Abbildung zeigt die wesentlichen Elemente im Modell der Verpachtung.
Abbildung 3: Illustrative Darstellung von Leistungen pro Partei im Verpachtungsmodell
Die Gemeinde verbleibt Netzeigentümerin und schliesst einen längerfristigen Pachtvertrag mit einer Laufzeit zwischen 5–10 Jahre ab.(7) Der Pachtvertrag regelt die Abgrenzung der Verantwortlichkeiten zwischen Verpächter und Pächter detailliert. Der Pächter wird Netzbetreiber im Versorgungsgebiet des Verteilnetzes und veröffentlicht eigene Tarife für die Energie- und Netznutzung der grundversorgten Endkunden.(8)
Der Netzbetrieb ist üblicherweise dem Pächter übertragen. Es gibt jedoch Fälle, bei denen einzelne Elemente des Netzbetriebs (z.B. geografisches Informationssystem) nach wie vor bei der Gemeinde verbleiben. Die bei der Gemeinde anfallenden Betriebs- und Kapitalkosten werden vom Pächter bei der Berechnung seiner Netztarife (für das gesamte Versorgungsgebiet) eingerechnet und mit dem Pachtzins vergütet. Entscheide bezüglich Ausbau und Erneuerung des Verteilnetzes liegen je nach Ausgestaltung des Pachtvertrages bzw. nach Höhe des Betrages oder der Dringlichkeit entweder bei der Gemeinde oder beim Pächter. Für die Aufgabenübertragung wird ein Anlageninventar erarbeitet und Transparenz über die Anlagenbuchhaltung benötigt.
Die Endverbraucher vergüten dem Pächter die Tarifkomponenten Energie, Netznutzung und Abgaben. Der Pächter leitet die entsprechenden Abgaben (wie z.B. Konzessionsabgaben für die Sondernutzung des öffentlichen Grund und Bodens durch das Verteilnetz) an die Gemeinde weiter und kümmert sich um die Verrechnung weiterer Abgaben an Dritte (wie z.B. SDL-Abgaben an Swissgrid). Die bei der Gemeinde anfallenden Betriebs- und Kapitalkosten des Verteilnetzes werden als Pachtzins durch den Pächter an die Gemeinde entschädigt.
Die Verantwortung für Netzbetrieb und Versorgung liegt grundsätzlich beim Pächter, welcher auch die wesentlichen strategischen, betrieblichen, rechtlichen und finanziellen Risiken trägt.
3. Gegenüberstellung Betriebsführung und Verpachtung
Je nach strategischer Zielsetzungen des Eigentümers des Verteilnetzes eignet sich das Modell der Betriebsführung oder der Verpachtung besser. Nachfolgende Tabelle zeigt eine Übersicht ausgewählter Aspekte aus Gemeindesicht.
Abbildung 4: Gegenüberstellung Betriebsführung und Verpachtung
Eine abschliessende Beurteilung, welches Modell für den jeweiligen Eigentümer in Frage kommt und welche Aspekte welche Priorität erreichen, ist individuell zu klären. Dies hängt stark von der jeweiligen Ausgangslage sowie der personellen, finanziellen, regulatorischen oder technologischen Herausforderungen des Eigentümers ab.
4. Herausforderungen in der Praxis
Je nach Ausgangslage zeigen sich in der Praxis unterschiedliche Herausforderungen bei der Wahl der geeigneten Handlungsoptionen. Insbesondere bei einem Wechsel des Betriebsmodells sind die Herausforderungen auf Seite des Eigentümers nicht zu unterschätzen. Nachfolgende Tabelle zeigt je nach Ausgangslage des Eigentümers mögliche Treiber für einen Modellwechsel sowie praxisorientierte Beispiele von Herausforderungen, welche es zu berücksichtigen gilt.
Abbildung 5: Herausforderungen aus Praxiserfahrungen
5. Handlungsempfehlungen
Wie vorliegend aufgezeigt, unterscheiden sich die Modelle der Betriebsführung und der Verpachtung deutlich. Je nach Ausgangslage des Netzeigentümers lassen sich spezifische Vor- sowie Nachteile der beiden Betriebsmodelle identifizieren. Insbesondere bei einem Wechsel des bisherigen Betriebsmodells sind mögliche Herausforderungen in der Umsetzung frühzeitig zu antizipieren und gezielt zu begegnen. Es ist empfehlenswert, die Ausgangslage, mögliche Betriebsmodelle sowie entsprechende Herausforderungen systematisch zu analysieren, als Entscheidungsgrundlage aufzubereiten und die nachfolgenden Schritte zur Umsetzung strukturiert abzuarbeiten. Der Fokus soll damit auf dem «strukturierten Weg zum Ziel» und nicht schon vorab im «Ziel» selbst liegen.
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Verweise
Bildnachweis: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
(1) Beispielsweise Rickenbach an EKZ (2016), Lufingen an EKZ (2017), Wichtrach an BKW (2018), Villnachern an IBB (2018), Muolen an SAK (2019) oder von Stimmbürgern abgelehnter Verkauf in Kölliken (2018).
(2) Vgl. EVU Partners AG (2016); «Verkauf von Schweizer Verteilnetzbetreibern als strategische Option – Eckwerte eines Unternehmensverkaufs aus Sicht der aktuellen Praxis»; erhältlich unter www.evupartners.ch.
(3) Vgl. Art. 5 StromVG.
(4) Innerhalb einer Übergangsfrist von fünf Jahren sind die Netznutzungsentgelte zwischen dem neuen Pachtgebiet und dem übrigen Netzgebiet des Pächters zu vereinheitlichen (vgl. Art. 14 Abs. 4 StromVG).
(5) Feste Endverbraucher und Endverbraucher, die auf den Netzzugang verzichten (vgl. Art. 6 StromVG).
(6) Vgl. Art. 394 ff. OR.
(7) Vgl. Art. 275 ff. OR.
(8) Feste Endverbraucher und Endverbraucher, die auf den Netzzugang verzichten (vgl. Art. 6 StromVG).