Auslegeordnung der Herausforderungen für KNU mit dem Zielmarkt Privatkunden auf den Ebenen Geschäftsmodelle, Dienste und Infrastruktur
Seit dem Wegfall des Quasi-Monopols für die Verbreitung des TV-Signals bzw. seit der Liberalisierung des Telekommarktes von über 20 Jahren hat sich dieser Markt stark verändert. Die traditionellen Kabelnetzunternehmen (KNU) müssen sich seither dem Wettbewerb und einer zunehmenden Marktdynamik stellen.
Der vorliegende Bericht gibt einen aktuellen Überblick über die verschiedenen Herausforderungen auf den Ebenen Geschäftsmodelle, Dienste und Infrastruktur für KNU mit dem Zielmarkt Privatkunden.
1. Ausgangslage
Der Schweizer Telekommarkt ist seit der Marktliberalisierung vor über 20 Jahren laufend und mit einer tendenziell zunehmenden Entwicklungsgeschwindigkeit im Umbruch. Das frühere Duopol mit der klaren Dienstzuordnung von Telefonie-Dienst via PTT-Kupfernetz und TV-Dienst via Koaxialkabelnetz besteht seit langem nicht mehr. Mit der Marktliberalisierung ist der damit gewünschte Wettbewerb um die Kunden entstanden und die traditionellen Festnetze aus Kupfer und Koax haben sich so weiterentwickelt, dass darüber alle Dienste in vergleichbarer Qualität übertragen werden können. Parallel entstehen nach und nach neue Glasfaser- und Mobilfunknetze, welche die traditionellen Festnetze zusätzlich substituieren oder auch ergänzen können.
Wenn früher die klassischen Kabelnetzunternehmen (KNU) alle Elemente der ganzen Wertschöpfungskette für ihre Dienste abdecken konnten, so können heute die meisten der KNU nur noch einen Teil der Wertschöpfung selber erbringen und sind für die Leistungserbringung auf strategische Partner angewiesen.
Alle Teilnehmer im Telekommarkt sind daher laufend stark gefordert. Der nachfolgende Artikel ist speziell für KNU mit dem Zielmarkt Privatkunden ausgelegt und zeigt für diese die wichtigsten Themenfelder in den Bereichen Rechtsform, Geschäftsmodell, Dienste und Infrastruktur auf.
2. Rechtsform der KNU
Der Telekom-Markt für Privatkunden ist geprägt durch wenige, grosse Anbieter wie Swisscom, UPC, Sunrise oder Quickline und mehreren Hundert eher kleineren Anbietern, welche grösstenteils aus KNU bestehen. Während bei den grossen Telekom-Anbietern die Aktiengesellschaft als Rechtsform vorherrscht, kommen bei den KNU wie in Abbildung 1 ersichtlich die verschiedensten Rechtformen vor. Nebst der für Unternehmen typischen Rechtsform einer AG oder GmbH sind über 60% der KNU als klassische Genossenschaft, als öffentlich-rechtliche Anstalt oder als Verein organisiert.
Abbildung 1: Aufteilung der KNU nach Unternehmensform (1)
Bei Genossenschaften, öffentlich-rechtlichen Anstalten und Vereinen besteht im Hinblick auf den hohen Innovations- und Entwicklungsgrad des Telekom-Marktes eine Herausforderung darin, ihre Kompetenzen so zu regeln, dass die Entscheidungswege und die damit verbundene Laufzeit der Marktdynamik entsprechen. Ansonsten besteht die Gefahr, auf Marktveränderungen nicht oder zu spät reagieren zu können.
Viele KNU entstanden historisch in der Zeit des ehemaligen TV-Monopols und wurden typischerweise als Genossenschaft, in wenigen Fällen auch als Verein gegründet. In der Regel wurden diese KNU von wenigen Personen mit Pioniercharakter vorangetrieben und entwickelt. Mittlerweile sind die meisten dieser Pioniere in die Jahre gekommen und für diese KNU besteht eine weitere Herausforderung in der Nachfolgefrage.
Demgegenüber besteht bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten die Problematik, dass die Telekom-Thematik im Gesamtkontext des Unternehmens ein eher untergeordnetes Thema darstellt und damit der Fokus und die notwendige Fachtiefe auf der oberen Führungsebene zu wenig ausgeprägt vorhanden sind. Zusätzlich werden diese Unternehmen in letzter Instanz durch die Öffentlichkeit geführt bzw. kontrolliert. Dabei kann der Einfluss auf Entscheidungen mehr politisch und kurzfristig als unternehmerisch und nachhaltig motiviert sein.
Der grösste Teil der KNU ist also gefordert, ihre Organisation und da vor allem Entscheidungswege sowie Kompetenzen entsprechend ihrer Rechtsform so auszurichten, dass sie dynamisch auf den Markt und Wettbewerb agieren können.
3. Geschäftsmodelle
Bis zur Liberalisierung des Telekommarktes und der dadurch eingeleiteten Konvergenz der Netze, wo alle Dienste unabhängig von der Netztechnologie über alle Netze transportiert werden können, war das Geschäftsmodell der KNU klar. Sie konnten in Eigenregie und selbständig die Leistungserbringung über alle Elemente der Wertschöpfungskette selber abdecken. Mit der Aufbereitung des Senderangebots, der Übertragung der Programme über die Netze und der Kundenschnittstelle konnten alle wesentlichen Wertschöpfungsschritte abschliessend durch die KNU bereitgestellt oder zumindest kontrolliert werden. Mit den Erträgen aus dem Anschluss und dem Dienst «Lineares TV-Programm» wurden die Kosten gedeckt.
Im heutigen Telekommarkt gibt es nur noch wenige, vor allem grosse Anbieter wie Swisscom und UPC, welche über die vollständige Kontrolle aller Wertschöpfungsschritte verfügen. Alle anderen Marktteilnehmer positionieren sich nur in einem Teil oder wenigen Teilen der Wertschöpfungskette und decken die restlichen Wertschöpfungsschritte mit Kooperations- oder Zusammenarbeitspartnern ab. In der Regel sind Aufbau sowie Betrieb einer solchen Zusammenarbeit sehr intensiv, die Partner lassen sich nur mit einem grossen Aufwand austauschen und Partner innerhalb der Wertschöpfungskette sind als strategische Partner anzusehen. Sobald sich die Wertschöpfung über mehrere Partner erstreckt, muss auch der Wertschöpfungsbeitrag und der Ertrag der einzelnen Schritte in entsprechenden Vereinbarungen festgelegt werden.
Abbildung 2: Wertschöpfungskette eines KNU (2)
Je nach Infrastruktur, Grösse und weiteren Eigenschaften positionieren sich die KNU heute individuell in der Wertschöpfungskette und im Markt. Die meisten KNU positionieren sich allerdings lokal oder regional in den Schritten «Anschlussnetz» sowie «Vertrieb Anschluss» und erhalten zusätzlich einen Ertrag aus der Nutzung des Anschlussnetzes durch die Dienste. Die traditionelle Aufbereitung des Senderangebots durch die KNU wird nur noch von wenigen KNU in Eigenregie vorgenommen und in vielen Fällen zentral eingekauft.
Obwohl die meisten KNU ihre Positionierung in der Wertkette bereits in der Vergangenheit anpassen mussten, müssen sie sich weiterhin mit ihrer künftigen Positionierung innerhalb der Wertkette auseinander setzen. Das Gesamtangebot ist bereits heute stark von nationalen Anbietern geprägt. Das traditionelle, lineare TV bzw. die Aufbereitung des Senderangebots wird mehr und mehr durch individuelles Streaming (zeitversetztes Fernsehen) verdrängt und der reine Kabelanschluss wird zunehmend in ein Dienstpaket integriert. Die beiden Wertschöpfungsschritte «Vertrieb Anschluss» sowie «lineares TV» werden in absehbarer Zeit nicht mehr durch die KNU selber erbracht werden können, falls dies nicht bereit schon heute der Fall ist. Demgegenüber ist die Entwicklung von Diensten sehr aufwändig und kann nur refinanziert werden, wenn ein genügend grosser Markt beliefert werden kann. Die wenigsten KNU beliefern ein so grosses Versorgungsgebiet, dass selber entwickelte Dienste darin kostendeckend vertrieben werden können.
Allenfalls kann der Wertschöpfungsschritt «Vertrieb Dienste» durch ein KNU übernommen werden und damit die lokale Stärke gegenüber den Kunden hervorgehoben werden. Anderenfalls beschränkt sich die künftige Wertschöpfung des KNU auf den Wertschöpfungsschritt «Anschlussnetz» und alle damit zusammenhängenden Aufgaben. Mit dem Wegfallen der Kundenschnittstelle verliert ein KNU den direkten Kundenzugang. Damit die Refinanzierung der Investitions- und Betriebsaufwände weiterhin gesichert ist, müssen aber genügend Kunden am Netz angeschlossen sein. Nebst einem innovativen Partner, welcher mit seinen Diensten genügend Kunden gewinnen kann, muss auch das Zusammenspiel von Diensten und Netz optimal und vorausschauend aufeinander abgestimmt sein. Entsprechende Beteiligungen mit Mitspracherechten begünstigen dies einerseits, verfestigen aber andererseits die Bindung zu strategischen Partnern und erschweren damit zusätzlich den Austausch von strategischen Partnern.
4. Dienste
Ebenso wie die Geschäftsmodelle sind auch die Dienste einer laufenden Veränderung unterworfen. Der rückläufige Bedarf vom klassischen linearen TV und der Ersatz durch individuelles Streaming wurde bereits angesprochen. Nebst dem zeitversetzten Konsumieren des klassischen, linearen Senderangebots kommen mit Teleboy, Apple-TV, Netflix, Disney+ etc. immer mehr OTT-Produkte (over-the-top) auf den Markt, welche spezielle Bedarfsgruppen ansprechen und das klassische Senderprogramm durch ein breites und individuell anrufbares Programm ersetzen. Sobald sich die OTT Produkte als App nahtlos und mit einer einfachen Bedienung in die Fernsehgeräte integrieren lassen, wird deren Siegeszug über das klassische, lineare Senderangebot nicht mehr aufzuhalten sein.
OTT-Produkte brauchen betreffend Übertragung nur noch einen Internet-Dienst. Die auf den Kabelnetzen angebotenen Telefonie-Lösungen basieren ebenfalls auf VoIP Produkten und deren Übertragung basiert ebenfalls auf dem Internet Protokoll.
Verstärkt sich dieser Trend Richtung OTT, verschwindet mittel- bis langfristig der Bedarf an der broadcast Verbreitung von TV Sendungen und der zu transportierende Verkehr über die Kabelnetze beschränkt sich auf internetbasierende Dienste. Demgegenüber werden die qualitativen Anforderungen an die Übertragung laufend steigen und es ist zu erwarten, dass künftig auch für Privatkunden Qualitätsversprechen für die Übertragung verbindlich eingefordert werden.
5. Infrastruktur
Die heutigen Netze der KNU basieren mehrheitlich auf einer hybriden Glas- und Koaxialtechnologie (HFC). Hinsichtlich der erwarteten Entwicklung der Dienste und der steigenden Anforderungen an die Übertragung bzw. an die Anschlussnetze stellt sich für alle KNU die Frage, in welche Richtung sie ihre Netze weiter entwickeln sollen. Einerseits wird heute mit viel Marketing die Fiber to the Building / Home Technologie (FttH / FttB) mit ihrer praktisch uneingeschränkten Übertragungskapazität als die Lösung aller Probleme dargestellt. Mit einem Ausbau in diese Richtung stellt sich für die KNU allerdings die Frage, wie sie ihre heutige Stärke der bereits bestehenden Infrastruktur und der flächendeckenden Abdeckung weiterhin nutzen und sich damit differenzieren können. Vor allem bei einem koordinierten FttB/H Bau mit anderen Anbietern wie beispielsweise der Swisscom fällt eine Differenzierung über die Abdeckung und die Technologie weg. Ebenfalls bedingt der Ausbau Richtung FttB/H einen kurzfristigen Einsatz von relativ hohen, finanziellen Mitteln bei einer sehr langfristigen und eher ungewissen Refinanzierung.
Demgegenüber ist die Kabeltechnologie mit DOCSIS weltweit sehr stark verbreitet und diese Technologie wird auch laufend weiterentwickelt. Im Labor sind mit der nächsten DOCSIS Generation bereits Übertragungsraten von >20 Gbps möglich und die HFC-Technologie wird damit vor allem im privaten Anwenderbereich durchaus konkurrenzfähig bleiben. Ebenfalls kann mit einem Ausbau der HFC-Netze die bestehende Netzarchitektur beibehalten und organisch ausgebaut werden, was sich in den notwendigen, finanziellen Mitteln positiv niederschlagen sollte.
Zusammen mit den mobilen Angeboten nimmt auch der Trend nach einem ortsunabhängigen Konsum der Dienste zu. Dieser Sachverhalt ist sicher ernst zu nehmen und dem mit geeigneten Massnahmen Rechnung zu tragen. Andererseits erscheint 5G als nächste Mobil-Generation ein mögliches Substitut für Festnetze zu werden. Die hervorragenden Kennwerte von 5G mit hohen Übertragungsgeschwindigkeiten und minimalen Verzögerungen bestechen. Allerdings ist 5G eine Broadcast-Technologie, wo sich alle an einer Antenne angeschlossenen Teilnehmer die verfügbare Übertragungskapazität teilen müssen. Zudem ist die Nutzung innerhalb von Gebäuden wegen der schweren Gebäudedurchdringung nur bedingt möglich. Somit scheint 5G eher eine Ergänzung für den ortsunabhängigen Konsum der Dienste als ein Substitut für die Kabelnetze darzustellen.
Die Netzentwicklung im Anschlussnetz muss auf jeden Fall lokal stattfinden. Die KNU mit ihren bestehenden, lokalen Netzen und den Kenntnissen der lokalen Gegebenheiten sind da klar im Vorteil. Welche Entwicklungsstrategie für ein Kabelnetz sinnvoll ist, hängt stark von der individuellen Einschätzung der verschiedenen Trends und Erwartungen ab.
6. Fazit
Der Schweizer Telekommarkt weist nach wie vor einen hohen Innovations- und Entwicklungsgrad auf, welcher sich auf unabsehbare Zeit fortsetzen wird. Die Liberalisierung des Marktes erzwang von den meisten KNU bereits eine Neupositionierung und anstehende oder absehbare Entwicklungen bedingen laufend weitere Überprüfungen und Anpassungen.
Nebst der organisatorischen Sicherstellung der Handlungsfähigkeit müssen KNU je nach individueller Situation und Erwartung ihre Geschäftsmodelle anpassen und allenfalls strategische Zusammenarbeiten eingehen. Der Trend Richtung all-IP bei den Diensten mit den entsprechenden Anforderungen an die Anschlussnetze zeichnet sich zwar klar ab. Unklar ist jedoch der Zeitpunkt, bis wann dieser Trend vollständig umgesetzt sein wird. Gleichzeitig sind auf der Netzebene verschiedene Technologien mit unterschiedlichen Chancen und Gefahren bekannt.
Der wichtigste Vermögenswert eines KNU sind dessen Anschlussnetz bzw. die daran angeschlossenen Kunden, denn nur die angeschlossenen Kunden generieren den erforderlichen Ertrag. Die Kunden sind allerdings nicht an einem Netz, sondern an Diensten interessiert. Daher muss ein KNU in erster Linie sicherstellen, dass heute und künftig sowohl attraktive Dienste auf seinem Netz verfügbar sind, als auch dass das Netz die Anforderungen an die Übertragung dieser Dienste erfüllt. Wann der Trend Richtung all-IP bei den Diensten soweit fortgeschritten sein wird, dass alle Dienste nur noch via IP übertragen werden, lässt sich heute schwer abschätzen. Bis dahin müssen aber möglichst alle Kunden auf dem Netz gehalten bzw. idealerweise der Kundenstamm sogar ausgebaut werden. Für die Netzentwicklung bedeutet dies eine Vorgehensweise zu finden, welche gleichzeitig sowohl die unterschiedlichen Anforderungen der traditionellen wie auch der neuen Dienste sowie die zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen erfüllt.
Die KNU werden weiterhin in verschiedenen Bereichen gefordert sein und müssen auf allen betroffenen Ebenen ausgewogene und für sie stimmige Lösungsansätze entwickeln.
Verweise
Bildnachweis: Bild von Giorgio Giorgi auf Pixabay
(1) Rechtsformen der rund 200 SUISSEDIGITAL Mitglieder per Anfangs November 2019.
(2) Darstellung EVU Partners AG.